Medien zwischen Achtung und Ächtung: Die neue Sehnsucht, Gehör zu finden
Corona-Folgen, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Nahostkonflikt … Es gibt zunehmend Menschen, die Nachrichten vermeiden oder ihnen misstrauen. Warum ist das so? Und welche Folgen könnte das haben? Eine Studie über Achtung und Ächtung der Medien sucht nach Antworten. Wir haben Studienleiter Jens Lönneker (rheingold salon, Köln) dazu befragt.
- von Anja Pasquay, BDZV, Berlin
- 14.05.2024, 15:32 Uhr
- 3 Kapitel, 4 min Lesezeit
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Das Interview
Nach 75 Jahren Grundgesetz und Pressefreiheit: Wie ist es um die Glaubwürdigkeit der Medien und das Recht auf freie Meinungsäußerung bestellt?
Jens Lönneker: 75 Prozent der Deutschen halten die etablierten Medien für glaubwürdig und haben Achtung vor ihrer Arbeit. Aber eine erkleckliche Minderheit traut ihnen überhaupt nicht: Dieses Viertel der Bevölkerung sagt, dass Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen kritische Positionen etwa zum Umgang mit der Corona-Pandemie, mit Migranten, mit der EU oder zum Ukraine-Krieg nicht abbilden. Viele von diesen stark medienkritischen Menschen glauben, dass die Politik den Medien vorgibt, wie und worüber diese berichten. Auch die eigene freie Meinungsäußerung sieht man nicht mehr gewährleistet. Immer mehr Mensch glauben, dass sie besser vorsichtig sein sollten, wenn sie ihre politische Meinung äußern.
Rund zwei Drittel der stark medienkritischen Menschen fühlen sich von System und Politik allein gelassen. Daher besteht bei ihnen eine hohe Bereitschaft, systemkritische Parteien zu wählen.
Jens Lönneker, Studienleiter
Welche Effekte hat das Glaubwürdigkeitsproblem der Medien für unsere Demokratie?
Stark medienkritische Menschen haben den Eindruck, dass es um Deutschland nicht gut bestellt ist. 78 Prozent stimmen dem Satz zu: „Wir fahren Deutschland vor die Wand, wenn wir weiter so machen – aber in den Medien ist das zu wenig Thema.“ Für diese Situation wird überwiegend das bestehende politische System verantwortlich gemacht: Rund zwei Drittel der stark medienkritischen Menschen fühlen sich von System und Politik allein gelassen. Daher besteht bei ihnen eine hohe Bereitschaft, systemkritische Parteien zu wählen. Die Glaubwürdigkeitskrise der Medien schwächt somit die bestehende Demokratie.
Wie reagieren denn die Medienkritiker?
Sie haben das Gefühl, mit ihren Anliegen bei den Medien und in der Politik kein Gehör mehr zu finden. Sie fühlen sich ausgeschlossen, damit geächtet, und ächten nun ihrerseits die Medien. Nur 9% finden, dass die Medien eine sehr gute Arbeit leisten. Historisch bedingt ist das im Osten Deutschlands stärker der Fall als im Westen. Psychologisch betrachtet tut diese Gruppe daher alles, um Gehör zu finden. Sie wählen sogenannte Protestparteien und schneiden immer wieder Reizthemen an: Wenn sie sich für einen EU-Austritt stark machen oder sich gegen eine Corona-Schutzimpfung aussprechen, können sie sicher sein, dass sie Aufmerksamkeit bekommen und dass man Ihnen zuhört. Dabei wäre es viel wichtiger, sich nicht von diesen Reizthemen provozieren zu lassen, sondern bei den eigentlich wichtigen Themen zuzuhören.
Was sind die eigentlich wichtigen Themen?
Ausgangspunkt für stark medienkritische Haltungen sind fast immer private, persönliche Erfahrungen. Bei vielen besteht der Eindruck, dass wesentliche Dinge und Abläufe im Land nicht mehr gut funktionieren. Das kann der Online-Unterricht in der Schule sein oder die Krankenkasse, die Probleme bei der Kur-Abrechnung macht, obwohl man doch zwanzig Jahre nur eingezahlt hat. Dazu passt dann ins Bild, dass viele Brücken in Deutschland marode sind und die Deutsche Bahn mehr durch Pannen als durch Pünktlichkeit auffällt. Deutschland erscheint dann auf dem
absteigenden Ast und damit auch die eigenen Aufstiegswünsche. Man hat dann den Eindruck, dass zu wenig Geld in das Land selbst investiert wird und sich zu viel um die ganze Welt gekümmert wird: Flüchtlinge, Ukraine, Klimawandel.
Was haben die Medien selbst zum Glaubwürdigkeitsproblem beigetragen?
Impfskeptiker wurden in Corona-Zeiten in vielen Medien schnell zu „Covidioten“ gemacht. Das hat viele Betroffene doch nachhaltig irritiert und an der Unabhängigkeit der Presse zweifeln lassen. Nicht zu unterschätzen ist aber auch, dass vielen Menschen das ständige Buhlen von immer mehr Medien um Aufmerksamkeit zu viel wird. Alle senden und wollen Reichweite, Follower und Likes – aber keiner hört mehr richtig zu. Immer mehr Menschen vermeiden es laut einer Reuters-Studie, sich mit Nachrichten zu beschäftigen, weil sie ihnen nicht trauen und weil es sie zu sehr aufregt. Es besteht aber eine tiefe Sehnsucht, mit den eigenen, scheinbar banalen Anliegen wieder mehr Gehör in der Öffentlichkeit zu finden.
Zur Person
Jens Lönneker ist Tiefenpsychologe mit dem Schwerpunkt Markt-, Medien und Kulturforschung. Er forscht und berät national wie international in den Bereichen Grundlagenforschung, Produkt- und Markenentwicklung und Kommunikationsstrategien. Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen u.a. Beiträge zu den Themenfeldern Ernährung, Medien, öffentliche Meinungsbildung, Sponsoring und Verfassungsmarketing veröffentlicht. Jens Lönneker ist Präsident der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. (G·E·M).
Infos zur Studie
Medien zwischen Achtung & Ächtung – Eine Untersuchung zur Kluft zwischen Medienakzeptanz & Medienaversion in Ost- & Westdeutschland
Infos zur Studie und Download