Bedrohung der Pressefreiheit – Wenn Berichterstattung zu gefährlich wird
Von Pöbelei bis Prügel – es ist gefährlich geworden, als Journalist zu arbeiten. Immer aggressiver wird Medienschaffenden begegnet, auch im Lokalen. Das ist nicht nur ein Problem für die Nachwuchsgewinnung. Es ist auch eines für die Pressefreiheit.
- von Andrea Gourd, Berlin
- 30.04.2024, 11:27 Uhr
- 3 Kapitel, 8 min Lesezeit
Gewalt gegen Journalisten: Neue Studie offenbart alarmierende Trends
Verbale oder tätliche Angriffe zählen inzwischen zum Berufsrisiko von Reportern. Welches Ausmaß die Gewalt gegen die Presse inzwischen annimmt, dokumentiert das European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) in der Studienreihe „Feindbild Journalist“. Autor Martin Hoffmann äußert sich im Interview.
In der sechsten Auflage Ihrer Feindbildstudie „Hass vor der Haustür“ dokumentieren Sie ein erneutes Ansteigen der Angriffe gegen Medienschaffende. Welche Entwicklung zeichnet sich ab?
Martin Hoffmann: Die Entwicklung ist gravierend: Nie gab es mehr gewaltsame Angriffe auf Medienschaffende als im vergangenen Jahr: 83 Fälle haben wir verifiziert. Dieser zweite Negativrekord in Folge lässt sich klar auf die teilnehmerstarken Versammlungen von Querdenken und anderen pandemiebezogenen Protestformationen zurückführen. Dort haben sich drei Viertel der von uns erfassten Angriffe ereignet. Aber nicht nur auf den einschlägigen politischen Demonstrationen sind Journalistinnen und Journalisten gefährdet. Inzwischen werden Reporter auch völlig unvermittelt in Fußgängerzonen und auf Supermarktplätzen während ihrer Arbeit angegriffen.
Erfasst werden in Ihrer Statistik nur gemeldete Fälle. Muss man davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch höher liegt?
Vieles deutet auf ein großes Dunkelfeld: So zeigt etwa eine beträchtliche Anzahl der von Gewalt betroffenen Journalistinnen und Journalisten Übergriffe nicht an oder macht sie öffentlich bekannt. Einige, weil sie sich keine behördliche Aufklärung versprechen. Andere schrecken davor zurück, weil sie nicht ins Fadenkreuz der Pressefeinde geraten wollen. Sie befürchten, dann im Netz mit Hatespeech überzogen zu werden oder sich direkten Bedrohungen auszusetzen. Trotz der Dunkelfeldproblematik ergibt sich eine klare Tendenz in allen Analysen: Die Pressefeindlichkeit nimmt seit Beginn unserer Erfassung im Jahr 2015 zu. Dies zeigen beispielsweise auch Umfragen zur Arbeitssituation unter Medienschaffenden, Auskünfte von den Medienhäusern, aber auch polizeiliche Statistiken.
Worin sehen Sie Gründe für diese Zunahme von Gewalt? Sind pressefeindliche Äußerungen aus dem politischen Raum ein Wegbereiter?
Die Zunahme von Hass und Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten steht im direkten Zusammenhang mit dem Aufkommen (rechts-)populistischer Empörungsbewegungen, zuvorderst PEGIDA ab Ende 2014. Diese Protestbewegungen bilden ein Sammelbecken der Unzufriedenen, die sich von den Entscheidungseliten als ungesehen und ungehört wahrnehmen und sich von den demokratischen Institutionen und Prozessen entfremdet haben. Sie glauben an eine Verschwörung von Medienvertretern und Politikerinnen und Politikern, daran, dass Journalisten für die gesellschaftlichen Eliten gezielt Unwahrheiten verbreiten, um das sogenannte Volk kleinzuhalten.
Kurz: Sie glauben an die Existenz einer vermeintlichen „Lügenpresse“. Dieses Narrativ bildet zugleich eine ideologische Spange, welche die heterogenen Protestbewegungen wie zuletzt eben Querdenken zusammenhält.
Was macht das mit dem Berufsbild des Journalisten? Ist es nicht auch eine Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit, weil eine Vor-Ort-Berichterstattung womöglich immer weniger stattfindet?
Journalistinnen und Journalisten sind seit 2014/2015 einer anhaltenden Verleumdung ausgesetzt: Sie würden als unmündige Lakaien der Entscheidungseliten gezielt falsch informieren. Diese pauschale Anschuldigung einer Minderheit wirkt sich auch negativ auf das Berufsbild aus.
Viel gravierender als dieser Reputationsverlust einer ganzen Profession ist aber, dass uns seit 2020/2021 in zunehmendem Maße Berichte erreichen, dass Medienschaffende nicht mehr von Demonstrationen berichten wollen: Es ist ihnen zu gefährlich geworden, und auch zu auszehrend. Risiko und Nutzen stehen für sie in keinem Verhältnis mehr. Sie werden häufig über Stunden beschimpft und bedroht. Dabei könnte hinter jedem Windjackenträger der nächste Angriff lauern. Auch, dass einige Journalisten von ihren Medienhäusern aus der Berichterstattung genommen wurden, weil sie schwer bedroht wurden, ist ein Alarmsignal. Ebenso, dass sich einzelne Journalistinnen und Journalisten komplett aus der Berichterstattung zurückgezogen haben. Dadurch können – vorerst zum Glück nur in Teilbereichen der Gesellschaft – blinde Flecken entstehen.
Wie ist die Situation im Lokalen?
In unserer jüngsten Studie haben wir zum ersten Mal spezifisch die Situation der Lokaljournalistinnen und -journalisten unter die Lupe genommen: Hier nahmen die Angriffe zum Jahresende 2021, Jahresanfang 2022 stark zu. Dies steht in einem eindeutigen Zusammenhang mit einer eklatanten Zunahme von nicht-registrierten Protesten auch im ländlichen Raum, sogenannten Spaziergängen. Davon fanden in wenigen Wochen viele Tausend statt, häufig ohne Polizeischutz und mit viel Eskalationspotenzial, wenn Pressefeinde und Medienschaffende dort aufeinandertreffen. Und Medienschaffende, die im Lokalen arbeiten, können auch einer anhaltenden Bedrohung unterworfen sein. Denn ihnen ist es nicht möglich, sich in die Anonymität der Großstadt zurückzuziehen. Mitunter sind ihnen die Aggressoren sogar persönlich bekannt und leben in der Nachbarschaft.
Martin Hoffmann
… ist Journalist und Wissenschaftler. Als Forscher am Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig (ECPMF) analysiert er seit 2015 kontinuierlich Übergriffe auf Journalisten und Pressefeindlichkeit in Deutschland. Hoffmann ist Co-Autor der Studienreihe „Feindbild Journalist“.
Gewalt gegen Journalisten: Neue Studie offenbart alarmierende Trends
Sehen Sie Drohungen, die auf Social-Media-Plattformen inzwischen ja leider an der Tagesordnung sind, als eine Vorstufe für die wachsende körperliche Gewaltbereitschaft?
Inzwischen sehen wir häufiger eine direkte Verschränkung von Bedrohungen in digitalen Räumen, vor allem bei Telegram, und in der Öffentlichkeit. So berichteten uns einige von Angriffen betroffene Medienschaffende, dass ihre Bilder, zum Teil auch Adressen in den Chatgruppen von Querdenken & Co. geteilt wurden, sobald sie von den Demonstrationen berichteten. Diese Posts gehen in der Regel einher mit unverhohlenen Drohungen – die Einzelne möglicherweise zur Gewalt anstacheln könnten, in jedem Fall aber einschüchtern sollen.
Müsste also Hatespeech im digitalen Raum konsequenter geahndet werden?
Eindeutig müssen Bedrohungen im digitalen Raum viel umfassender geahndet werden, etwa durch ein personelles Aufstocken der Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Bisher erfolgt noch in den seltensten Fällen eine Verurteilung, wenn Medienschaffende digital angefeindet werden.
Wie können Redaktionen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen, haben Sie hierfür Tipps und Empfehlungen?
Ein etablierter Modus der Risikoanalyse ist hilfreich. So sollte man sich vorab in der Redaktion fragen: Welche Teilnehmer sind bei einer Versammlung zu erwarten, gab es aus diesem Umfeld Anfeindungen? Nach Möglichkeit auch ein Blick in einschlägige Chatgruppen werfen, eventuell auch eine Vorinformation bei der örtlichen Polizei einholen. Die Polizei bemüht sich inzwischen in vielen Regionen, die Anliegen der Medienschaffenden im Blick zu behalten – insofern kann es sich lohnen, hier im Informationsaustausch zu bleiben.
Darüber hinaus empfiehlt es sich sehr, Teams aus mindestens zwei Personen auf als potenziell gefährlich erkannte Termine zu schicken. Redaktionen sollten – sofern dies noch nicht geschehen ist – ein Freiwilligkeitsprinzip etablieren: Wer sich nicht in der Lage sieht, von politischen Versammlungen als potenziell gefährlichen Arbeitsplätzen zu berichten, dem dürfen keine Nachteile entstehen. Überdies sollten sich mehr Medienhäuser dem Schutzkodex anschließen, in dem praktische Maßnahmen gegen pressefeindliche Übergriffe formuliert sind.
Was kann die Politik tun, um Medienschaffende besser zu schützen?
Die Innenminister sollten möglichst bald die Neufassung der Verhaltensgrundsätze zwischen Polizei und Presse abstimmen, die ja aus dem Jahr 1993 stammen. Dann gäbe es eine noch verbindlichere Grundlage, um die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten zu erhöhen. Außerdem sollten die Staatsanwaltschaften gestärkt werden, denn noch immer verlaufen zu viele Anzeigen gegen Pressefeinde im Sand.
Zur Feinbildstudie
Die Studie „Feindbild Journalist“ wird jährlich vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Kooperation mit dem BDZV herausgegeben. Das ECPMF ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Leipzig, die sich europaweit für die Pressefreiheit einsetzt.
Zur Studie
Gewalt gegen Journalisten: Neue Studie offenbart alarmierende Trends
Gemeinsam mit dem BDZV haben Sie ein Langzeit-Monitoring aufgesetzt, um pressefeindliche Übergriffe zu dokumentieren und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Was tut sich hier?
Wir freuen uns sehr, dass sich der BDZV in diesem wichtigen Anliegen engagiert: Zunächst mit der Unterstützung der Feindbildstudie Nr. 6 – und nun mit dem gemeinsamen Langzeit-Monitoring zur Bedrohungssituation von Medienschaffenden im Lokalen. In dem Projekt werden wir kontinuierlich Beleidigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten gegen Medienschaffende in Deutschland erfassen und analysieren, sowohl online als auch offline. Gerade die spezifische Bedrohungssituation von Lokaljournalistinnen und -journalisten ist bisher kaum im Fokus gewesen, obwohl ihre Arbeit unverzichtbar ist – und ihre Sicherheit zunehmend gefährdet. Deshalb braucht es noch mehr Wissen über die spezifischen Formen der Anfeindungen, um geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln zu können.
Wir freuen uns sehr, dass sich der BDZV in diesem wichtigen Anliegen engagiert: Zunächst mit der Unterstützung der Feindbildstudie Nr. 6 – und nun mit dem gemeinsamen Langzeit-Monitoring zur Bedrohungssituation von Medienschaffenden im Lokalen. In dem Projekt werden wir kontinuierlich Beleidigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten gegen Medienschaffende in Deutschland erfassen und analysieren, sowohl online als auch offline. Gerade die spezifische Bedrohungssituation von Lokaljournalistinnen und -journalisten ist bisher kaum im Fokus gewesen, obwohl ihre Arbeit unverzichtbar ist – und ihre Sicherheit zunehmend gefährdet. Deshalb braucht es noch mehr Wissen über die spezifischen Formen der Anfeindungen, um geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln zu können.