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© Gremi Media

„Journalismus ist unser bestes Marketinginstrument“

Wie kann unabhängiger Journalismus unter den Repressionen eines zunehmend autokratischen Systems überleben? Maciej Maciejowski weiß es. Er ist CEO von Gremi Media aus Polen, die mit „Rzeczpospolita“ eine der größten polnischen Tageszeitungen herausgibt. Im Interview gibt er Einblicke in die Verlagsarbeit zu Zeiten der rechtsnationalen PiS-Regierung.

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Die Rolle von Pluralis und die Unabhängigkeit von staatlichem Einfluss

Herr Maciejowski, Sie haben im Juni 2022 bei Gremi Media als CEO angefangen, nachdem Pluralis, ein Fonds zur Sicherung von Medienfreiheit, die Übernahme durch ein staatliches polnisches Unternehmen verhindert hatte. Was bedeutete das für Sie?

Maciej Maciejowski: Ich komme von einem anderen Medium, TV und Online. Teil von Print zu sein – wobei es da ja inzwischen auch um Online geht – war etwas Neues für mich. Dass Pluralis sich beteiligt hatte, bedeutete eine Art Sicherheit in der sich wandelnden Medienlandschaft Polens, die sich nicht unbedingt in eine gute Richtung entwickelte. Dass sich ein Fonds wie Pluralis dazu entschlossen hat, in die älteste polnische Medienmarke zu investieren – das ist Rzeczpospolita nämlich seit 104 Jahren – bescherte mir einen passenden Partner, um das Unternehmen weiterzuentwickeln, um die Online-Sparte aufzubauen, die Einzige, die Zukunft hat.

Waren Sie dadurch völlig unabhängig von staatlichem Einfluss?

Ja, und das Geschäftsjahr 2023, dessen Ergebnisse wir gerade veröffentlich haben, war das entscheidende Jahr der Unabhängigkeit. Denn 2023 wurden wir von allen staatlichen Unternehmen abgeschnitten, die normalerweise einen zweistelligen Anteil an unseren Werbeeinnahmen ausmachten. Um uns für unsere unabhängige Berichterstattung zu bestrafen, wurde ihnen von der Regierung untersagt, bei uns zu werben. Aber wir haben überlebt und sind profitabel geblieben. Und das ist der wahre Beweis für unsere Unabhängigkeit!

Galt das auch für die Redaktion, war sie wirklich unabhängig von staatlichen Einflussversuchen?

Viele Seiten versuchen, Redaktionen zu beeinflussen, nicht nur, aber vor allem Politiker. Zum Glück haben wir in Polen ein ziemlich gutes Mediengesetz, das auch in diesen schwierigen Zeiten gewirkt hat. Unabhängigkeit bedeutet vor allem, finanziell unabhängig zu sein, und dank Pluralis waren wir nicht abhängig von staatlichen Geldern. 

Der Umgang mit staatlicher Einflussnahme und die Reaktionen des Publikums

Die damalige Regierungspartei PiS hat intensiv versucht, die Medien zu dominieren, sei es durch Übernahme der Presse, sei es durch starke Einflussnahme auf das öffentliche Radio und Fernsehen, wo auch viele Redaktionsmitglieder entlassen wurden. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?

Das war sehr schwierig. Zum einen, weil sie den öffentlichen Rundfunk nicht beeinflusst haben, er gehörte ihnen. Das war nur noch pure Propaganda. Zum anderen, weil sie die lokale polnische Presse aufgekauft haben, und auch dort wurde nur noch Propaganda verbreitet. Sie haben uns häufig angegriffen, nicht durch die Gerichte, sondern persönlich: unsere Journalistinnen und Journalisten oder uns als Zeitungstitel. Sie suchten nach nicht-existierenden Verbindungen zwischen Finanziers und Herausgeber, das waren Lügen oder Manipulationen, eine andere Art von Angriff.

Wie hat das Publikum reagiert?

Am schlimmsten war es vor den Wahlen 2023. Wir wurden von beiden Seiten attackiert, denn Rzeczpospolita ist wirklich unabhängig. Wir stützen uns auf unsere Werte, auf die Wahrheit. Aber man hat versucht, uns entweder auf die linke oder die rechte Seite zu schieben, je nachdem, wer gerade gegen uns war. Wir haben es geschafft zu überleben. Online hatten wir monatlich sieben Millionen User. Es gibt ein Ranking der einflussreichsten polnischen Medien, und 2023 lagen wir an der Spitze, nicht nur bei den Zeitungen, sondern bei allen Medien. Wir waren im Wahljahr also das einflussreichste Medium, und das beweist, dass das Publikum schlauer ist als Leute, die etwas zerstören wollen.

Maciej Maciejowski steht mit verschränkten Armen vor einem Schild, auf dem 'Rzeczpospolita' steht. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine Armbanduhr.
© Gremi Media

Die Transition ins Digitale und der Wettbewerb auf dem polnischen Medienmarkt

Kommen wir zum unternehmerischen Handeln. Ihre Aufgabe war vor allem, die Transition ins Digitale zu schaffen, wie sind Sie vorgegangen?

Rzeczpospolita war etwas spät dran mit der Digitalisierung. Wir konzentrieren uns immer noch stark auf die gedruckte Ausgabe, das ist sehr wichtig, aber ihre Verbreitung in Polen wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Und es gab keine guten Angebote für Online-Abonnements, also sind wir es als Team angegangen und haben hundert Prozent mehr Nutzer online gewonnen. Als ich im Juni 2022 anfing, hatten wir 3 Millionen Website-User, jetzt sind es 7 Millionen. Journalismus ist unser bestes Marketinginstrument, weil wir uns Werbetafeln und Fernsehwerbung nicht leisten können. Und dank Pluralis als Partner hatte ich Zugang zu anderen Verlagen auf der ganzen Welt, sodass wir uns über Best Practices austauschen konnten. Das ist unbezahlbar!

Die Leserinnen und Leser haben also positiv reagiert?

Ja, sehr positiv. Natürlich gibt es diejenigen, die die Zeitung seit Jahrzehnten gedruckt lesen. Aber wir haben neues Publikum gewonnen und ihnen die Marke nähergebracht.

Und wie war es in den Redaktionen, mussten Sie viele Mitarbeitende austauschen?

Es ist uns gelungen, das ohne Entlassungen durchzuziehen. Wir haben zum einen neue Kompetenzen ins Haus gebracht, zum anderen die bisherige Redaktion geschult und neue, digitale Kenntnisse vermittelt. Es ist ein schwieriger Prozess, aber es funktioniert.

Wie stellt sich die Konkurrenz durch andere Medienhäuser in Polen dar?

Polen unterscheidet sich vom Rest Westeuropas, wenn es um den Wettbewerb im Internet geht: Polen ist ein freier Online-Markt – frei im Sinne von kostenfrei! Es gibt viele Online-Portale wie Wirtualna Polska (wp.pl), Onet.pl oder Interia.pl, die kostenlos verfügbar sind und monatlich 20 bis 21 Millionen Menschen anziehen. Jeder erwachsene Internetnutzer besucht mindestens einmal im Monat eine dieser Websites. Dieser Journalismus ist kostenlos, was für ein Medienunternehmen wie unseres eine große Herausforderung darstellt. Einfache Nachrichten sind überall kostenlos verfügbar, nicht bei Google, sondern bei lokalen polnischen Marken. Es herrscht also ein starker Wettbewerb. Um zu überleben, müssen Sie daher genau wissen, wie Sie Online-Tools wie SEO und SEO-Marketing nutzen.

Wie sieht es mit Paid Content aus, haben Sie das bereits eingeführt?

Sie tun das nicht, wir schon. Es ist die größte Herausforderung, die Menschen davon zu überzeugen, dass jedes Stück, das wir produzieren, es wert ist, dafür zu bezahlen.

Zurück zur politischen Lage: Der Einfluss rechter Parteien wächst leider in Europa. Welche Erfahrungen können Sie teilen mit Medien, die von rechts bedrängt werden, damit sie finanziell und redaktionell unabhängig bleiben?

Vor allem gilt es, die Freiheit der Medien zu bewahren, unabhängig zu bleiben! Die eigenen journalistischen Werte hochzuhalten, denn das Schlimmste ist ihre Entwertung. Sonst sind Sie verloren, denn Sie verlieren Glaubwürdigkeit. Das gilt für die journalistische Seite. Für die finanzielle Seite gilt: Wichtig ist eine Mischung von Investoren, auch aus dem Ausland, allerdings nur aus Ländern, die die gleichen Werte teilen. Wenn Sie nur lokale Investoren haben, können Sie leichter in eine Ecke gedrängt werden, die sie angeblich vertreten. Diese Strategie hat uns gerettet.

Gibt es wieder Pressefreiheit in Polen unter der neuen Regierung?

Ich glaube nicht, dass Pressefreiheit jemals verschwinden wird. Die Tatsache, dass Propaganda installiert und öffentliche Medien übernommen wurden, bedeutete nicht, dass es keine freie Presse mehr gab. Wir haben die Medien in polnischen und ausländischen Händen, unabhängig von politischen Parteien. Springer, Warner Bross und viele unabhängige polnische Verlage agieren frei auf unserem Markt. Die Pressefreiheit musste nicht zurückkommen, aber sie ist jetzt einfacher durchzusetzen.

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