Grüner als gedacht
NACHHALTIG Printprodukte wie Zeitungen weisen eine weitaus bessere Umweltbilanz auf als auf den ersten Blick ersichtlich. Und die Branche tut viel, um ihren ökologischen Fußabdruck weiter zu verringern und nachhaltig zu wirtschaften.
Eine herausfordernde Aufgabe.
- von Tim Ende, Berlin
- 29.04.2024, 10:22 Uhr
- 6 Kapitel, 9 min Lesezeit
Für Millionen Menschen gehört sie zur morgendlichen Routine: die Zeitungslektüre am Frühstückstisch. Und wegen heißer Sommer mit wenig Regen, Rekordtemperaturen und Wetterereignissen wie Überschwemmungen und heftigen Gewittern sind in den Zeitungen immer mehr Nachrichten über die Klimakrise zu lesen.
Doch so normal die Berichterstattung über das Klima inzwischen für Nachrichtenkonsumenten geworden ist, so wenig ist vielen bewusst, welche CO2-Bilanz die Zeitung aufweist, in der sie ebendiese Meldungen lesen. Denn diese kann sich sehen lassen. Das liegt auch daran, dass in Deutschland Zeitungen nahezu ausschließlich auf recyceltem Altpapier gedruckt werden. In Bezug auf Papier haben wir hierzulande eine der saubersten Kreislaufwirtschaften weltweit. Zwar haben gedruckte Zeitungen nach der Benutzung ihren Zweck erfüllt, denn am nächsten Tag liegt ein neues Exemplar vor der Haustür. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Online-Produkte per se nachhaltiger sind.
Print heißt nicht gleich mehr „CO2-Ausstoß“
„Dabei muss Print nicht unbedingt zu einem höheren CO2-Ausstoß führen als Online“, sagt Prof. Dr. Matthias Künzler von der Arbeitsstelle Kommunikationspolitik/Medienökonomie am Institut
für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität (FU) in Berlin. „Das Vorurteil, dass Online per so ökologischer ist, ist nicht belegt“, merkt der Forscher an. Der Einfluss auf den CO2-Ausstoß hänge von vielen Faktoren ab. Bei Online komme es auf die Art der Datenübertragung (Mobilnetz, Kabel, WLAN) und die Hardwareproduktion an. Bei Print auf den Rohstoff (recycelte Primärfaser, Herkunft des Holzes) und den Produktionsprozess. „Eine allgemeine Antwort darauf, ob die gedruckte oder die Online-Zeitung ökologischer ist, gibt es nicht“, schränkt der Forscher ein. Dennoch sei eine „ökologische Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung moderner Standards mit Print (oder Online) möglich“, so Künzler. Das sieht auch Marcus W. Mauermann so, Head of Corporate Sustainability bei der Axel Springer SE: „Wenn man klimafreundlicheres Papier kauft und im Papierkreislauf eine hohe Recylingquote eingehalten wird, sind die Emissionen einer Printzeitung meines Erachtens vertretbar. Schließlich hat der Nachrichtenwert eine positive gesellschaftliche Wirkung.“
Papier sei für Verlage einer der wenigen Wertstoffe, die sie einsetzen. Hier könne man den Hebel in Richtung Nachhaltigkeit mit qualitativ hochwertigem und nachhaltig produziertem Papier gut stellen, so Mauermann weiter.

Interview mit Volker Hotop, Vorsitzender der AGRAPA
Was ist die AGRAPA und was konnte sie bisher bewirken?
Die AGRAPA ist die Arbeitsgemeinschaft Graphische Papiere und wurde vor 29 Jahren von Verbänden entlang der grafischen Papierkette gegründet: Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, Druckereien, Buchverlage, Presse-Groß- und Einzelhandel. Schon damals standen gesetzliche Verpflichtungen zu einer Recyclingquote für grafische Papiere im Raum. Diese konnte jedoch durch die Gründung der AGRAPA und der selbstständigen, freiwilligen Einführung einer Quote verhindert werden. Nun lebt die Selbstverpflichtung der AGRAPA bereits im dreißigsten Jahr und hat die Recyclingquoten seitdem mindestens erfüllt oder übererfüllt. Diese Ergebnisse und das branchenübergreifende Arbeiten führen zu einer hohen Glaubwürdigkeit unserer Werte und Ziele.
Die AGRAPA-Selbstverpflichtung bezog sich ursprünglich auf die Einhaltung einer Recyclingquote von grafischen Papieren. Sie haben sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, die Selbstverpflichtung auch auf die verwendeten Druckfarben zu erweitern und dem Bundesumweltministerium im April dieses Jahres eine erweiterte Selbstverpflichtung überreicht. Wozu haben sich die AGRAPA-Mitglieder verpflichtet?
Die Verlage und Druckereien verpflichten sich zu einem schrittweisen Ausstieg aus der Nutzung von Zeitungsdruckfarben mit Mineralöl und zur Nutzung von schadstofffreien Druckfarben, die das Recycling nicht behindern. In einem ersten Schritt verpflichten sich die Verlage, bis zum 31. Dezember 2025 die Menge von Mineralöl aus Zeitungsdruckfarben, die potenziell in den Altpapierkreislauf gelangen, gegenüber dem Referenzjahr 2020 zu halbieren. Drei Jahre später, Ende 2028, sollen dann gar keine solchen Farben mehr im Zeitungsdruck verwendet werden. Dies sind sehr ambitionierte Verpflichtungen, die so vom Umweltministerium nur angenommen worden sind, weil die Glaubwürdigkeit der AGRAPA hoch ist und die Politik weiß, dass wir keinen Minimalkurs fahren. In europäischen Nachbarländern wurde das durch gesetzliche Verbote geregelt, was wir hier durch freiwillige Selbstverpflichtungen erreichen können, davon sind wir überzeugt.
Was bedeutet die erweiterte AGRAPA-Selbstverpflichtung konkret für die Zeitungsverlage und deren Druckereien?
Es bedeutet, dass die Verlage sie nun mit Leben füllen müssen. Die parlamentarische Staatsekretärin im Umweltministerium, Frau Dr. Bettina Hoffmann, meinte zu mir, dass sie eigentlich nichts von freiwilligen Selbstverpflichtungen hält, aber auf die gute Arbeit der AGRAPA vertraut. Nun stehen wir im Wort. Damit geht auch ein Appell unsererseits an die Verlage einher, jetzt etwas zu tun und mit der Arbeit anzufangen. Die Umstellung auf mineralölfreie Druckfarben ist eine Aufgabenstellung für die gesamte Branche, die nur wenig bewirkt, wenn nur Einzelne mitmachen. Verlage und Druckereien, die noch nicht angefangen haben, mineralölfreie Druckfarben beizumischen, müssen jetzt mit der Neuausrichtung anfangen und ab 2024 jährlich mindestens 20 Prozent beimischen, um bis 2028 komplett umgestellt zu haben. Denn nur gemeinsam erreichen wir das Ziel. «

Foto: Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG
Die Umstellung auf mineralölfreie Druckfarben ist eine Aufgabenstellung für die gesamte Branche, die nur wenig bewirkt, wenn nur einzelne Verlage und Druckereien mitmachen.
Volker Hotop,
AGRAPA-Vorsitzender
Branche arbeitet an Reduzierung ihrer Emissionen
Daneben gibt es noch weitere Stellschrauben, mit denen Verlage ihre Klimabilanz verbessern können. „Verlage können auf Ökostrom und Ökogas umstellen und im Mobilitätsbereich in reine Elektrofahrzeuge investieren“, so Mauermann. Auch die Bereitstellung des Deutschlandtickets für Mitarbeitende von Medienhäusern helfe, die CO2-Emissionen des Unternehmens und dessen Produkte weiter zu reduzieren.

Der Bundesverband Druck und Medien (bvdm) hat errechnet, dass der CO2-Wert aller Druckerzeugnisse eines durchschnittlichen Bundesbürgers in Deutschland weniger als ein Prozent des Fußabdrucks ausmacht, den eine Person hierzulande pro Jahr hinterlässt.
Dennoch ist es das erklärte Ziel der Branche, ihre Emissionen weiter zu reduzieren, um noch nachhaltiger zu wirtschaften. Kompensation von nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen sollte dabei nur als Zwischenschritt verstanden werden und nicht im Fokus der Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit stehen.
Auf dem Weg zu einer Reduzierung ihrer Emissionen müssen Medienhäuser deswegen wissen, wie viel CO2 sie bei der Herstellung ihrer Produkte überhaupt ausstoßen. Um das herauszufinden, hat der bvdm ein Klimatool, den sogenannten CO2-Rechner, erarbeitet, mit dem nachverfolgt werden kann, welche CO2-Emissionen aus der Produktion und Verteilung von Printprodukten entstehen.
Eine allgemeine Antwort darauf, ob die gedruckte oder die Online-Zeitung ökologischer ist, gibt es nicht.
Dennoch ist eine ökologische Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung moderner Standards mit Print (oder Online) möglich.
Prof. Dr. Matthias Künzler, Arbeitsstelle Kommunikationspolitik/Medienökonomie am Institut für
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität (FU) in Berlin
Klimatool errechnet CO2-Emssionen
Da sich die Zeitungsbranche immer digitaler ausrichtet, hat der BDZV das bestehende Klimatool erweitert und arbeitet aktuell an einer Komponente, die auch den Ausstoß von digitalen Produkten berechnen kann. Dabei erfindet der BDZV das Rad nicht neu, sondern setzt auf die bereits existierende Lösung. So kann durch die enge Zusammenarbeit der Verbände eine gemeinsame, nachhaltige Lösung für die gesamte Branche gefunden werden.
Dass es höchste Zeit ist, sich als Unternehmen über das Nachhaltigkeitsmanagement Gedanken zu machen, wird nicht nur durch die Präsenz, die das Thema in den Nachrichten hat, deutlich. Auch die Politik macht mit Vorgaben Druck.

Marcus Mauermann, Foto: Axel Springer SE
Wenn man klimafreundlicheres Papier kauft und im Papierkreislauf eine hohe Recylingquote eingehalten wird, sind die Emissionen einer Printzeitung meines Erachtens vertretbar. Schließlich hat der Nachrichtenwert eine positive gesellschaftliche Wirkung.
Marcus Mauermann,
Head of Corporate Sustainability, Axel Springer SE
Nachhaltigkeit durch Selbstverpflichtung
So sind durch die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Social Responsibility Directive, CSRD) ab 2025 auch Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einer Bilanzsumme von über 20 Millionen Euro berichtspflichtig. Bisher galt das nur für Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden. Das heißt, auch Mittelständler, wie viele Verlage es sind, müssen in Zukunft in einem Lagebericht oder einem separaten Nachhaltigkeitsbericht Auskunft über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange sowie Diversitätskonzepte
geben. Verlage sollten sich mit diesen Themen also möglichst bald auseinandersetzen. Neben gesetzlichen Bestimmungen, die die Branche erfüllen muss, gibt es in Bezug auf Nachhaltigkeit viele Beispiele, wie auf freiwilliger Basis und ohne Vorgaben des Gesetzgebers gute Ergebnisse aus der Wirtschaft selbst heraus geschaffen werden können. Eines ist die Arbeitsgemeinschaft Graphische Papiere (AGRAPA, siehe auch Interview auf S. 48/49) der der BDZV bereits als Gründungsmitglied von Anfang an angehört. In ihr haben sich die Verbände der gesamten Wertschöpfungskette Druck zusammengeschlossen, um sich für ein umfassendes Recycling grafischer Papiere, also Papiere zum Bedrucken, Beschreiben und Kopieren, einzusetzen. Bereits 1994 manifestierte sich dieses Bestreben in einer Freiwilligen Selbstverpflichtung, zunächst 53 Prozent der in Deutschland verbrauchten Druckpapiere zu recyceln. Heute liegt diese Quote bei 80 Prozent – im letzten Jahr wurde sie sogar auf 84,3 Prozent gesteigert.

Mineralölhaltige Farben verschwinden aus dem Druck
Und mehr noch: Im Frühjahr 2023 verpflichteten sich die in den Verbänden organisierten Unternehmen freiwillig zu einem nochmals höheren Einsatz von Altpapier bei der Produktion grafischer Papiere und zu einem schrittweisen Ausstieg aus der Nutzung von Zeitungsdruckfarben mit Mineralöl bis zum Jahr 2028. Damit wolle man Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft schaffen, so die AGRAPA. Doch nicht nur auf Verlagsseite wird Nachhaltigkeit gelebt, auch in den Redaktionen ist das Thema längst zum Gegenstand der täglichen Berichterstattung geworden. So bieten immer mehr Zeitungen ihren Leserinnen und Lesern in extra gegründeten Ressorts Informationen, Datenmaterial und Hinweise zu Umwelt- und Ressourcenschonung, Erderwärmung und Maßnahmen, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Gemeinsam mit den Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit im eigenen Wirtschaften zeigt die Branche auf diese Weise, wie gemeinsame Anstrengungen zu echten Veränderungen in der Gesellschaft führen können.