Nicht das Papier zählt
Weniger Printausgaben, eine konsequente Digitalstrategie und ein Journalismus, der die Interessen der Leser bedient: Das norwegische Medienhaus Amedia zeigt, wie man seine Leserschaft fürs Digitale begeistert.
- von Andrea Gourd, Berlin
- 04.12.2024, 19:35 Uhr
- 4 Kapitel, 5 min Lesezeit
Eine mutige Print-Reduktion und eine konsequente Digital-First-Strategie – das sind für das größte norwegische Medienhaus Amedia die Erfolgsfaktoren für ein stabiles digitales Wachstum. Auf dem BDZV-Vertriebsgipfel am 7. November in Köln zeigte John Kvadsheim, Executive Vice President, wie es Amedia mit dieser Strategie gelungen ist, die Leserbindung zu stärken und die Digitalisierung gewinnbringend voranzutreiben.
Mit über 100 zumeist regionalen und lokalen Zeitungen, mehr als 1.100 redaktionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und täglich zwei Millionen Leserinnen und Lesern gehört Amedia zu den Großen im Mediengeschäft. Und zu denen, die digital weit vorne sind: 73 Prozent der Abonnenten sind Digital-only-Kunden. „Wir haben es geschafft, eine digitale Beziehung zu unseren Lesern aufzubauen“, sagt Kvadsheim. Das gelinge nur, wenn man seine Leser und ihre Bedürfnisse wirklich gut kenne.
„Menschen zahlen nicht für Papier. Sie bezahlen für Inhalte.“
Keine Kündigungswelle
Eine der radikalsten und zugleich erfolgreichsten Maßnahmen von Amedia war die Halbierung der Zustelltage der Printausgaben auf drei Tage pro Woche – Dienstag, Donnerstag und Samstag. Ein mutiger Schritt, der nicht in erster Linie die Kosten drücken, sondern Printleser stärker auf das digitale Angebot lenken sollte. Die Reaktion der Leserschaft? Erstaunlich positiv. Es gab nur vereinzelte Kündigungen, und diese vor allem bei älteren Abonnenten ohne digitale Affinität. Kvadsheim betont: „Wir haben unseren Lesern versprochen, dass sie den gleichen Umfang an Inhalten erhalten, nur eben an weniger Tagen. Statt weniger Inhalt haben wir die einzelnen Ausgaben dicker gemacht.“ Zusätzlich können Leser jederzeit aktuellen Content digital konsumieren.
Sofern das redaktionelle Angebot stimmt, führen weniger gedruckte Ausgaben also nicht automatisch zu Kündigungen. „Menschen zahlen nicht für Papier – sie bezahlen für Inhalte. Guter Journalismus ist der einzige relevante Grund, warum Leser bereit sind, zu zahlen,“ so Kvadsheim. Für Amedia sind drei gedruckte Ausgaben pro Woche die passende Dosis. Eine Reduzierung auf zwei oder gar nur einen Printtag berge ein deutlich höheres Risiko, dass Abonnenten kündigen.
Inhalte, die Leser binden
Flankiert wurde die Print-Reduktion durch eine konsequente Digital-First-Strategie. Für Kvadsheim ist sie der zentrale Hebel zur Transformation. Denn: Reichweite allein genügt nicht, da ist er sich sicher. „Digitale Werbeeinnahmen werden den Lokaljournalismus, wie wir ihn heute kennen, nicht erfolgreich finanzieren“. Also braucht es eine zahlende Leserschaft – und die gibt es langfristig nur für „guten und relevanten Journalismus“.
Was aber ist für Leser relevant? Dazu braucht es Daten, viele Daten. In der digitalen Welt stehen sie zur Verfügung. Welche Artikel lesen die Leser, welche Themen interessieren sie, was bringt Abo-Abschlüsse? „Wir haben erkannt, dass das, wovon wir redaktionell am meisten produziert haben, am wenigsten gelesen wurde“, so eine Erkenntnis aus der Datenanalyse.
Heute prüft Amedia alle Inhalte konsequent auf Engagement und macht das den Redakteuren auch transparent. Den meisten hilft es – sie erstellen mehr von den Inhalten, die den Bedürfnissen der Leser entsprechen. „Das hat einen enormen Effekt auf Abo-Abschlüsse“, so Kvadsheim. „Je mehr die Abonnenten lesen, desto geringer das Risiko, dass sie kündigen.“ Und er betont: „Wir müssen unsere Leser wirklich gut kennen, um die Kundenbeziehung erfolgreich zu digitalisieren“.
Sport-Streaming und „All inclusive“ als Abo-Booster
Mit Zusatzangeboten hat Amedia die Attraktivität des Digitalabos und die Nutzerbindung weiter gestärkt. So hat sich „Direct Sport“, eine App mit Live-Streamings von Sportveranstaltungen, als wahrer Abo-Booster erwiesen. Vom lokalen Jugendfußball bis zum nationalen Match und allen Arten von Turnieren – „das zieht mächtig, probieren Sie es aus! Sie werden überrascht sein, wie viele Menschen ein Abo abschließen, um ein Pokerturnier zu sehen,“ rät Kvadsheim den deutschen Verlagen.
Als größten Erfolg für das Digitalwachstum verbucht Amedia sein „all you can eat“-Konzept für News: ein Abo für alle, wirklich alle Angebote des Medienhauses. Geboren als Experiment während der Corona-Pandemie, um den Menschen in der Isolation so viele Inhalte wie möglich zu bieten, wurde das Konzept zum echten Flagship-Produkt. „Es war wie ein Tsunami“, berichtet Kvadsheim. 53 Prozent der Abonnenten haben das All-inclusive-Abo für sämtliche Zeitungen, Sportangebote, Podcasts abgeschlossen oder ihr bestehendes Abo umgewandelt. Die Erlöse übertreffen alle Erwartungen, auf Kundenloyalität und Abo-Haltbarkeit zahlt das Angebot ebenfalls kräftig ein. Deshalb gibt Amedia jetzt auch allen Print-Abonnenten einen Zugang zum digitalen Gesamtangebot. Ein Schub für den Aufbau einer digitalen Beziehung.
„Wir konnten die Printausgaben nur deshalb erfolgreich reduzieren, weil es uns gelungen ist, eine starke digitale Beziehung zu unseren Lesern aufzubauen.“
Konsequente Preispolitik
In der Preispolitik zeigt sich Amedia konsequent: Trotz Frequenzreduzierung wurde der Preis für die gedruckte Zeitung nicht reduziert, „da die Leser den gleichen Umfang an Inhalten bekommen“, sagt Kvadsheim. Kontinuierlich gestiegen ist aber der Preis für die digitalen Angebote: „Seit 2014 haben wir den Digitalpreis um 250 Prozent erhöht“.
Ein wesentlicher Schlüssel zur Kundenzufriedenheit ist der einfache Zugang zum Digitalangebot. Mit einem einheitlichen Log-In-System hat Amedia hier eine smarte Lösung etabliert: Zur Registrierung genügt eine Handynummer. Mit diesem unkomplizierten Zugang hat das Unternehmen heute mehr als zwei Millionen registrierte Accounts geschaffen und verzeichnet täglich über 700.000 User.
Kvadsheims Fazit ist prägnant: „Für den digitalen Erfolg ist es absolut entscheidend, dass wir unsere Leser kennen und unseren Journalismus auf ihre Bedürfnisse abstimmen. Der einzige Grund, warum Leser bleiben, ist guter und relevanter Journalismus.“
„Für den digitalen Erfolg ist es absolut entscheidend, dass wir unsere Leser kennen und unseren Journalismus auf ihre Bedürfnisse abstimmen.“