Big Tech und Meinungsbildung: Wie uns Algorithmen manipulieren
Generative Künstliche Intelligenz revolutioniert die Medienwelt. Es sind die Algorithmen der großen Digitalplattformen, die den öffentlichen Diskurs entscheidend prägen. Der Medienrechtsexperte Prof. Dr. Thomas Höppner warnt: Die durch KI verstärkte Dominanz von Google, Amazon und Meta gefährdet Pressefreiheit und Medienvielfalt.
- von Andrea Gourd, Berlin
- 08.11.2024, 10:03 Uhr
- 5 Kapitel, 6 min Lesezeit
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Für den Kartellrechtsexperten Höppner ist Artikel 5 des Grundgesetzes zentral. Er garantiert nicht nur Pressefreiheit, sondern ist auch ein Gestaltungsauftrag an die Politik: Artikel 5 verpflichtet den Staat, eine freie Presse zu ermöglichen und zu sichern. „Die Institutsgarantie des Art. 5 GG verpflichtet den Staat, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der eine private Finanzierung von Presse ermöglicht und absichert“, so Höppner. „Die freie Presse ist für die moderne Demokratie unentbehrlich“, urteilt auch das Bundesverfassungsgericht. Doch laut Höppner versäumt die Politik genau das: die Presse ausreichend zu schützen.
Dominanz der Plattformen im Werbemarkt
Seit 2004 haben die Zeitungen 70 Prozent ihrer Werbeerlöse verloren. Im gleichen Zeitraum haben Google, Amazon und Meta ihre Marktanteile auf dem Werbemarkt stetig ausgebaut. Sie kontrollieren 40 Prozent des gesamten Werbemarkts und 70 Prozent der Online-Werbung.
Klassische Medien müssen dagegen immer mehr darum kämpfen, ihre Inhalte zu monetarisieren. Und das bei hohen Investitionen in ihre Redaktionen, wie Höppner mit eindrucksvollen Zahlen belegt: Google, Amazon und Meta generieren in Deutschland 4,7-mal mehr Werbeumsatz (11 vs. 2,3 Milliarden Euro) als alle deutschen Verlage zusammen. Die Verlage beschäftigen aber 17-mal so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie die Big Tech-Unternehmen (3.255 vs. 56.500). Als Arbeitgeber sind die Verlage deutlich engagierter als die konkurrierenden US-Konzerne.
Algorithmen und ihr Einfluss auf die Meinungsbildung
„Die Marktmacht von Big Tech ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch eines für die Meinungsbildung“, betont Höppner. Denn: Plattformen wie Google und Meta leben von Werbung und steuern die Sichtbarkeit und Verbreitung von Medieninhalten. Eine Kombination, die für die freie Meinungsbildung und den demokratischen Diskurs erhebliche Gefahren birgt.
Soziale Medien zielen darauf ab, Nutzerinnen und Nutzer zu binden. Es geht ihnen darum, User so lange wie möglich auf den Seiten zu halten, um ihre Aufmerksamkeit auf Anzeigen zu lenken. Nur dann fließen die Werbegelder. Wie beeinflusst das die Sichtbarkeit von Informationen? Bevorzugt werden nach dieser Logik solche Inhalte, die die Verweildauer erhöhen. Zwar ist es ein gut gehütetes Geheimnis der einzelnen Unternehmen, wie sie ihre Algorithmen steuern. Aber es gilt, was aus der Medienforschung schon lange bekannt ist: Was die Gemüter erregt, bindet User. Emotionalisierender und populistischer Content fördert Interaktion und Nutzungszeit.
Die Algorithmen sind darauf ausgerichtet, diese Inhalte vorrangig anzuzeigen. Weniger sachliche Auseinandersetzung, mehr Zuspitzung und Krawall sind die Folge. Das begünstigt nicht nur Populismus und Radikalisierung auf den Plattformen. Es befeuert auch Filterblasen und Echokammern, in denen Menschen hauptsächlich das angezeigt bekommen, was ihre bestehenden Überzeugungen bestätigt und verfestigt. Das erschwert Dialog und gesellschaftliche Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft, zu deren maßgeblicher Informationsquelle die sozialen Netzwerke geworden sind. Einer Polarisierung der Meinungen wird der Weg geebnet.
In der Logik der Algorithmen sind die gesellschaftlichen Konsequenzen nicht mitgedacht. Sie spülen schlicht das in die Userfeeds, was dem wirtschaftlichen Zweck des Unternehmens dient. Wenn aber diese interessengeleiteten und letztlich demokratieschädlichen Algorithmen der großen US-Digitalkonzerne zunehmend darüber entscheiden, welche Inhalte Nutzer zu Gesicht bekommen, kann ihr meinungsbildender – und negativer – Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nicht hoch genug bewertet werden, warnt Höppner eindringlich.
Es ist eine Entwicklung, die schon sehr konkrete Konsequenzen hat: Rund 80 Prozent des politischen Contents in den TikTok-Feeds von Erstwählerinnen und Erstwählern stammt von populistischen Parteien, berichtet der Medienexperte. Die AfD dominiert TikTok und ist bei den 18- bis 24-Jährigen damit besonders erfolgreich. Die Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst 2024 sind ein sichtbarer Beleg dafür: Die AfD ist unter Jungwählern die stärkste Kraft. „Algorithmische Filterblasen sind ein großes gesellschaftliches Problem“, so Höppner.
„Die Marktmacht von Big Tech ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch eines für die Meinungsbildung“.
Generative KI verstärkt Macht
Mit dem Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz bauen die US-Plattformen ihre Dominanz und ihren Einfluss auf den öffentlichen Diskurs weiter aus. Mittels KI können die Big Tech-Unternehmen aus den Inhalten anderer Medien – auch der redaktionellen Inhalte der Verlage, die sie ungefragt absaugen – „eigene“ Inhalte zusammenstellen und diese gegenüber klassischen Medien zu bevorzugen.
Für Plattformbetreiber ist es eine feine Sache, im eigenen Umfeld all das anzubieten, wonach Menschen suchen und was sie interessiert. Denn dann kommen sie gar nicht mehr auf die Idee, andere Medien oder Informationsquellen anzusteuern. Eine Entwicklung, die die Manipulationsgefahr deutlich erhöht, warnt Höppner. „Generative KI kann höchst personalisierte, überzeugende Botschaften liefern, ohne dass der Prozess transparent oder replizierbar wäre“. Und weiter: „Generative KI ermöglicht individuelle Manipulation auf neuem Niveau“. Plattformen manipulieren Verbraucher, um ihre Werbeerlöse zu steigern – und KI spielt ihnen dabei in die Hände.
Dass der KI-Einsatz die Gewinnmargen der Big-Tech-Unternehmen weiter in die Höhe schraubt, bestätigte jüngst Meta-Boss Mark Zuckerberg bei der Präsentation der Quartalszahlen. Meta, die Konzernmutter von Facebook, Instagram und WhatsApp, verzeichnete im dritten Quartal 2024 einen Gewinnanstieg um 35 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Die Werbeeinnahmen sprudeln auf Hochtouren – ausdrücklich auch infolge der boomenden KI-Effekte, wie Zuckerberg betont. KI erhöht die Zeit, die Nutzerinnen und Nutzer auf den Plattformen verbringen – die Werbeeffekte sind deutlich messbar.
Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen großen Plattformen und freier Presse wird dadurch verstärkt. Für unabhängige Medien wird es immer schwerer, ihre Inhalte zu schützen und zu monetarisieren. „Von einem ehemals offenen Netz entwickeln wir uns damit zu einem Netz privilegierter Partner, in dem es nur einigen wenigen Großunternehmen gut geht,“ beschreibt Höppner die Gefahren der KI-Revolution.
„Kann ein demokratischer Staat den gesellschaftlichen Diskurs den auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Algorithmen global agierender Plattformen überlassen?“.
Regulierung ist unverzichtbar
Nein, das kann und darf er nicht, lautet die Antwort des Juristen. Höppner fordert daher eine stärkere Regulierung von Big Tech und für Verlage die Wiederherstellung der Kontrolle über die eigenen Inhalte. Das Bundeskartellamt habe bislang keinerlei effektive Regulierung vorgenommen, kritisiert er.
Für unbedingt notwendig hält der Kartellrechtsexperte ein stärkeres Urheberrecht. Und er plädiert dafür, Kooperationen zwischen lokalen Medienanbietern zu erleichtern. Das würde ihre Verhandlungsposition gegenüber den großen Plattformen verbessern. Auch die Trennung von werbefinanzierter Verbreitung und KI-basierter Erstellung von Inhalten sei dringend geboten.
Nimmt der Staat seine in der Verfassung verankerte Schutzpflicht für die freie Presse ernst, muss er ihre Finanzierungsmöglichkeiten sichern. Aber „sind Inhalte nicht vor generativer KI geschützt, wird jede eigene Monetarisierung scheitern.“, warnt Höppner. Medienvielfalt und demokratischer Diskurs werden eingeschränkt, wenn die Sichtbarkeit von Inhalten auf wenige Plattformen konzentriert werde.
„Plattformen dürfen nicht die Hoheit über den öffentlichen Diskurs erlangen. Es bedarf eines fairen Wettbewerbs, um die demokratische Meinungsbildung zu sichern.“
Prof. Dr. Thomas Höppner