Wie Journalismus die Demokratie stärken kann
Unter dem Titel „Demokratie Hacks“ haben beim BDZV-Kongress 2024 in Berlin vier namhafte Journalistinnen und Journalisten praxisnah und selbstkritisch über ihre Arbeit berichtet und damit aufgezeigt, wie Journalismus unsere Demokratie positiv beeinflussen kann.
- von Tim Ende, Berlin
- 09.10.2024, 13:51 Uhr
- 4 Kapitel, 4 min Lesezeit
- Zur Kurzfassung des Artikels
Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert viele Branchen. Auch in den Redaktionen hat sie längst Einzug gehalten. So können Tools das Layouten von Zeitungsseiten erheblich vereinfachen. Bei der BDZV-Konferenz Chefredaktionen hat Ulrich Schönborn mit einen Blick hinter die Kulissen gezeigt, wie das bei der Nordwest-Zeitung (NWZ) aus Oldenburg funktioniert. Der Chefredakteur der Zeitung demonstriert mit seinem Projekt „Seitenautomatisation mit Sophi“, wie moderne Technologien die redaktionelle Effizienz steigern und Ressourcen besser nutzen.
Bedeutung des Lokaljournalismus
Den Anfang machte Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur der „Bild“ und Kriegsreporter. Der gebürtige Ostfriese erinnerte sich in seinem Vortrag an seine journalistischen Anfänge bei der „Emder Zeitung“ und hob die Bedeutung des Lokaljournalismus hervor. Seine Erfahrung aus seiner Arbeit im Lokalen und als Kriegsreporter habe ihn gelehrt, dass es enorm wichtig sei, als Journalist rauszugehen und auf die Menschen zuzugehen, und zwar „ohne Berlin-Brille“. Das sei eine essenzielle Aufgabe des guten Journalismus. „Reporter, Reporter, Reporter“, die in die Lebenswelt der Menschen eintauchen, ihnen zuhören und nicht andere Meinungen sofort verurteilen, ist sein dringender Rat und „Demokratie-Hack“ des Tages. Sein Appell an die Verlage: „Vertrauen Sie Ihren Reporterinnen und Reportern. Sie können im Gespräch mit den Menschen Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Medien zurückgewinnen, auch bei jungen Menschen.“

„Medien brauchen mehr Lust daran, sich mit Widerspruch auseinanderzusetzen.“
Anne Hähning, Redaktionsleiterin Zeit Online.
Mehr Meinungsvielfalt
Anne Hähnig, Redaktionsleiterin von „Zeit Online“, sprach über Vielfalt in den Medien. Sie kritisierte: „Wir sind uns zu ähnlich, was Haltungen und die Zusammensetzung in Redaktionen anbelangt.“ Es brauche mehr Diversität, sowohl bei den Meinungen als auch in der Belegschaft von Redaktionen. Ihr Appell an die versammelten Entscheider aus der Digitalpublisher- und Zeitungsbranche: „Medien brauchen mehr Lust daran, sich mit Widerspruch auseinanderzusetzen.“ Denn Meinungsvielfalt fördere auch kzeptanz und Vertrauen der Bevölkerung in die Medien.

Die Gefahr von „alternativen Medien“
Über die Rolle rechter und rechtsextremer „Alternativmedien“ und Medienaktivisten sprach im Anschluss Felix Huesmann, Hauptstadtreporter im RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In Deutschland darf sich jede/r Journalist oder Journalistin nennen, da es keine geschützte Berufsbezeichnung gibt. Er beobachte in letzter Zeit eine Zunahme von (Online-)Medien, die nicht nach journalistischen Standards arbeiten, sondern „hetzen, mobilisieren und Kampagnen fahren“. „Das ist nicht nur für unsere Gesellschaft eine Herausforderung, sondern auch für unsere Branche, den professionellen Journalismus“, so Huesmann. Seine Antwort auf dieses Problem: „Ich glaube, wir müssen mehr noch als bisher erklären, wie wir arbeiten – und zeigen, was Recherche von Kampagne unterscheidet.“ Sein Tipp für die „Demokratie Hacks“: „In Zeiten, in denen die Glaubwürdigkeit der Medien stark angekratzt ist, brauchen wir außerdem Transparenz und eine produktive Fehlerkultur.“

Zuhören als journalistische Aufgabe
Den Abschluss des Vierer-Panels bildete Sascha Borowski, Redaktionsleiter der „Allgäuer Zeitung“ (AZ) und Chief Digital Editor. Er zeigte auf, wie seine Zeitung mit viel Empathie und Engagement aus einer zunächst bedrohlichen Situation eine Begegnung auf Augenhöhe gemacht hat. Es ging um einen Sonntag im Februar dieses Jahres, ein eigentlich normaler Tag bei der AZ. Doch plötzlich blockierten 200 Traktoren die Verlagstore und verhinderten die Auslieferung der Zeitung – weil sie sich in den Berichten falsch dargestellt fühlten. Doch Borowski und seine Kollegen haben es durch Zuhören geschafft, mit den Bauern ins Gespräch zu kommen. Vielen habe er erst einmal erklären müssen, wie die Zeitung gemacht wird, so Borowski. Dass die AZ unabhängig von der Regierung sei und vielfältige Meinungen abbilde. Am Ende hätten sich sogar Bauernvertreter und Redaktionsmitglieder zusammen an einen Tisch gesetzt und über die Anliegen der Landwirte und die Berichterstattung darüber diskutiert. Sein Fazit aus der Aktion: „Wir müssen uns besser erklären, müssen achtsam sein“, um Menschen gegen Desinformation zu wappnen. Das stärke das Medienvertrauen und damit letztlich die Demokratie.
